Mit einer Gedenkstunde erinnerten am 09. Juni 2024 die Gedenkstätte Zwangslager Berlin-Marzahn e.V. und der Landesverband Deutscher Sinti und Roma e.V. an die vor 88 Jahren, im Jahr 1936 in das NS-Zwangslager verschleppten Berliner Sinti und Roma.
In der Gedenkstätte Zwangslager Berlin-Marzahn versammelten sich trotz des Wahlsonntages rund 150 Akteure aus Politik, Verbänden, Zivilgesellschaft und Angehörige von Überlebenden, um gemeinsam zu gedenken. In Grußworten und Gedenkreden wurde der internierten Sinti und Roma gedacht, und ein entschlossenes Vorgehen des Staates gegen den Rassismus in der Gegenwart gefordert.
Zu diesem Anlass sprachen Petra Rosenberg, die Vorsitzende der Gedenkstätte Zwangslager Berlin-Marzahn und des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg, MdB Natalie Pawlik, die Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Joe Chialo, der Berliner Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt und Nadja Zivkovic, die Bezirksbürgermeisterin von Marzahn-Hellersdorf. Die Veranstaltung wurde musikalisch begleitet von Janko Lauenberger und Lello Franzen.
Petra Rosenberg rückte den Fokus ihrer Rede auf die jüngsten rassistischen Angriffe auf Sinti und Roma an verschiedenen Orten in Deutschland. So beschrieb sie die sich wiederholenden Attacken auf das Mahnmal der Sinti und Roma in Flensburg und berichtete von den rassistischen Schmierereien auf Wahlplakaten des Kommunalwahlkandidaten und Sintos Marlon Reinhardt in Koblenz. Gefordert wurde dort, Sinti und Roma in den Gaskammern von Auschwitz zu ermorden. Petra Rosenberg machte klar: „Dieser Angriff gilt uns allen!“. An die Politik gerichtet sagte sie: „Wir sind fassungslos: Was muss noch passieren?“. Vor dem Hintergrund des historischen Verbrechens an den Berliner Sinti und Roma, ihrer Verfolgung, ihrem Leid und dem traumatischen Schicksal der Überlebenden, betonte Petra Rosenberg, wie skandalös es sei, dass Deutsche Sinti und Roma 88 Jahre nach den erlebten Gräueltaten wieder Angst um ihr Leben haben müssten. Zuletzt adressierte sie die Bundesregierung und den Bundestag, die noch am 14. Dezember 2023 über den Bericht der „Unabhängigen Kommission Antiziganismus“ debattiert und versprochen hatten, den Rassismus gegen Sinti und Roma zu bekämpfen: „Wir fordern jetzt ein entschlossenes Durchgreifen der Bundesregierung und eine klare Stellungnahme des Bundestages.“
MdB Natalie Pawlik nahm als Vertreterin der Bundesregierung Bezug auf Petra Rosenbergs Forderung und zeigte „Verständnis für die Wut und Enttäuschung“. Mit Blick auf die Bundestagsdebatte vom 14. Dezember 2023 und der Schaffung der Position des Beauftragten der Bundesregierung gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma in Deutschland hielt sie fest: „Der politische Wille ist da, aber es geht noch zu langsam.“ Daher sei es das Ziel der Bundesbeauftragten, die Arbeit der Selbstorganisationen ressourcenstärker zu unterstützen. In diesem Zug würdigte die Beauftragte der Bundesregierung für nationale Minderheiten das jahrelange Engagement des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg und die historisch-politische Bildungsarbeit von Petra Rosenberg in der Gedenkstätte Zwangslager Berlin-Marzahn: "Sie stehen beispielhaft dafür, wie eine Gedenkstätte mit Leben erfüllt werden kann, wie Erinnerungsarbeit das Heute bereichert.
Auch Kultursenator Joe Chialo betonte in seinem Grußwort, welche Dringlichkeit das aktive Erinnern und die Aufklärung über die historischen Verbrechen des Nationalsozialismus haben: „Gerade in Zeiten erstarkenden Geschichtsrevisionismus, müssen wir uns unserer Geschichte bewusst werden“. Als Motor dieses Prozesses machte er ebenso Orte wie die Gedenkstätte Zwangslager Berlin-Marzahn aus: "Die Gedenkstätte ist noch immer einer der wenigen und der zentrale Ort des Gedenkens an und der Aufklärung über den nationalsozialistischen Völkermord an Sinti und Roma hier in Berlin. So führte Joe Chialo durch die Entstehungsgeschichte der Gedenkstätte und des jährlichen Gedenkens zum Jahrestag der Verschleppung der Berliner Sinti und Roma. Zuletzt bekräftigte er die kollektive Verantwortung, sich die nationalsozialistischen Verbrechen an Sinti und Roma bewusst zu machen, "um Empathie, Verständnis, aber auch Entschlossenheit in unserem Handeln als Demokraten zu stärken."
Bezirksbürgermeisterin Nadja Zivkovic mahnte bezugnehmend auf die gleichzeitig abgehaltenen Europawahlen den Schutz der Demokratie vor "geschichtsvergessenen Strömungen in unserer Gesellschaft" an: „Heute, am Tag der Stimmabgabe und darüber hinaus“. Notwendig sei dafür die Aufklärungsarbeit vor Ort, in Marzahn Hellersdorf, gerade auch in der Gedenkstätte Zwangslager Berlin-Marzahn, die den "Austausch über Vergangenheit und Zukunft" ermögliche. In diesem Zuge erinnerte sie an die unmenschlichen Verhältnisse, unter denen Sinti und Roma von den Nationalsozialisten im Zwangslager Berlin-Marzahn gefangen gehalten und gequält wurden. Daran anschließend, dankte Bezirksbürgermeisterin Zivkovic den Überlebenden, ihren Angehörigen und Engangierten dafür, dass sie die grauenvolle Geschichte dieses Ortes und weiterer Orte des historischen Verbrechens aufarbeiten und sinnstiftend vermitteln.
Im Anschluss an die Reden und Grußworte sprach Pater Simon Härting am Gedenkstein für die ermordeten Sinti und Roma auf dem angrenzenden Parkfriedhof ein Gebet, Kränze wurden niedergelegt und die Namen der Kinder und Jugendlichen verlesen, die im NS-Zwangslager Berlin Marzahn ihr Leben ließen. Die wenigsten von ihnen lebten länger als ein paar Monate.
Bildergalerie
Petra Rosenberg, Vorsitzende der Gedenkstätte
Zwangslager Berlin-Marzahn und des Landesverbandes
Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg
Joe Chialo, Berliner Senator für Kultur und
Gesellschaftlichen Zusammenmhalt
MdB Natalie Pawlik, Beauftragte der Bundesregierung
für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten
Nadja Zivkovic, Bezirksbürgermeisterin von
Marzahn-Hellersdorf
Dennis Buchner, Vizepräsident des Berliner
Abgeordnetenhauses und Andreas Geisel,
SPD-Fraktion und Senator a.D.
Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung
Denkmal für die ermordeten Juden Europas,
Klaus und Alina Leutner
Gemeinsamer Gang des Gedenkens,
Parkfriedhof Marzahn
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